„Unternehmen und Gesellschaft sollten sich darauf einstellen, dass ein Freedom Day nicht kommen wird“. Mit diesen deutlichen Worten machte Gastrednerin Anna Maria Braun, Vorstandsvorsitzende der B. Braun Melsungen AG, gleich zu Beginn ihres Vortrags klar, wie sie die aktuelle Lage beurteilt. Auf Einladung des Industrie- und Handelsclubs OWL sprach die Juristin zum Thema „Von der Krise zur Chance – Wie wir den Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt stärken können“. Der „Abend in bewegten Zeiten“, wie Gastgeber und IHC-Präsident Eduard R. Dörrenberg die Vortragsveranstaltung einleitete, fand als Hybridveranstaltung im Livestream und Präsenz im Dr. Wolff Institut in Bielefeld statt.
„Ich glaube nicht daran, dass alles wie früher vor der Coronapandemie wird“, erklärte Braun, die als Chefin an der Spitze eines international tätigen Unternehmens mit 64’000 Mitarbeitenden und 7,4 Milliarden Umsatz steht. Gerade diese Einsicht stelle aber für Unternehmen auch eine Chance dar: „Indem wir die neue Realität akzeptieren, können wir uns besser aufstellen“. Die Pandemie habe gezeigt, „wie flexibel wir sind“.
Diese Flexibilität sollten wir nicht als Ausnahmezustand, sondern als das „neue Normal“ betrachten, führte Braun aus. „Wenn wir den Krisenmodus nicht beenden, hoffen wir ständig, es wird besser. In der Folge davon erstarren wir oder erleben Erschöpfung und Burn-out.“ Akzeptanz könne hingegen auch Entlastung bringen. Von der Politik erhofft sich die Unternehmerin darum entsprechende Signale, zum Beispiel, dass sie sich als Hilfesteller zurückzieht und den Krisenmodus damit beendet.
Bei der anschließenden, von Eduard R. Dörrenberg moderierten Diskussion ging es unter anderem um das Spannungsfeld „Datenschutz und datenbasierte Medizin“. Im Hinblick auf den demografischen Wandel, der mehr ältere Patienten und weniger Personal bedeute, „müssen wir hier einsteigen“, so Braun. „Wir brauchen die therapieunterstützende Technik, anders ist das Gesundheitssystem sonst nicht mehr finanzierbar.“
Als erste Frau aus der Familie leitet Braun den Vorstand des Familienunternehmens. Insgesamt sind damit zwei Frauen im Vorstand vertreten. „Das hat schon eine ausstrahlende Wirkung“, bekannte Braun, die sich dafür einsetzt, Frauen schon in den unteren Unternehmensebenen zu fördern. Weiter verteidigte sie für den Arbeitsplatz im Unternehmen als wichtigen, gesellschaftlichen „Begegnungsraum“: „Hier lernen wir, auf Menschen zuzugehen, andere Meinungen zu hören und damit umzugehen.“ Diese Fähigkeiten kämen im Homeoffice eindeutig zu kurz, so Braun: „Trotz aller Filterblasen werden wir am stärksten von unseren Mitmenschen sozialisiert“.
Text: Annette Meyer zu Bargholz