Wirtschaftliche Interessen und Renditestreben dürfen niemals über das Wohl von Patientinnen und Patienten gestellt werden, erklärte Dr. Klaus Reinhardt, Mediziner und Präsident der Bundesärztekammer auf einer digitalen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Industrie- und Handelsclubs OWL.
Gerade in Krisenzeiten, wie jetzt in der Corona-Pandemie habe sich die flächendeckende Krankenhausversorgung und das starke Netz von ambulant tätigen Haus- und Fachärztinnen- und Ärzten als großer Vorteil erwiesen.
Dass im Gesundheitssektor viel Geld zu verdienen ist, haben mittlerweile zahlreiche Investoren für sich entdeckt. Arzt- und Zahnarztpraxen setzten in Deutschland im Jahr 2017 zusammen jährlich 79 Milliarden Euro um. In Zeiten von Niedrigzinsen lockt dieser wenig konjunkturanfällige „Markt“ zunehmend Finanzinvestoren an, die ihr Engagement in der ambulanten Versorgung als reine Geldanlage betrachten. Eine Entwicklung, die Dr. Reinhardt mit Sorge betrachtet.
Möglich machten dieses Geschäftsmodell die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). MVZ sind Versorgungseinrichtungen, in denen mehrere Ärztinnen bzw. Ärzte unter einem Dach zusammenarbeiten. Die Kooperationsform wurde mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz im Jahr 2004 in die Versorgungslandschaft eingeführt. Seitdem ist die Anzahl der MVZ stetig auf mehr als 2.800 im Jahr 2017 gestiegen. Deutschlandweit arbeiteten rund 16.400 angestellte Ärzte und 1.600 Vertragsärzte in Medizinischen Versorgungszentren.
Die Zentren bieten durchaus Vorteile. In techniklastigen Disziplinen, wie Radiologie und Labormedizin, übernimmt ein Investor die Anschaffungskosten für die teure Geräte-Ausstattung. Zudem können Ärztinnen und Ärzte dort ohne unternehmerisches Risiko als Angestellte arbeiten. Interessant ist das Modell für Investoren vor allem dort, wo „skalierungsfähige, planbare Prozesse“ ablaufen, wie in der operativen Augenheilkunde oder Zahnheilkunde). „Dieses rein privatwirtschaftliche Handeln kann nicht alles abdecken“, so Dr. Reinhardt. Die ambulante psychiatrische Versorgung, die in den letzten Jahren zunehmend an Gewicht gewonnen hat, sei zum Beispiel kein „Investitionsfeld“, habe aber die gleiche Bedeutung für die Patienten. Die Politik greife hier in letzter Zeit durchaus steuernd ein, versicherte Dr. Reinhardt. So solle die Möglichkeit zur Rosinenpickerei, dass nämlich MVZ mit einem ausschließlich auf wirtschaftlich attraktive Leistungen eingeengten Tätigkeitsspektrum gegründet würden, wegfallen. Das gesamte Leistungsspektrum müsse abgebildet werden. Ebenso wichtig sei die Transparenz für die Patienten. „Es muss für Patienten nachvollziehbar sein, wer sie behandelt und wer die Gesellschafter eines Medizinischen Versorgungszentrums sind“, so Dr. Reinhardt.
In der anschließenden Fragerunde, die von IHC-Präsidiumsmitglied Philip F.W. Harting moderiert wurde, stand erwartungsgemäß die Corona-Pandemie im Mittelpunkt. Hier plädierte der Mediziner für mehr Ruhe und Sachlichkeit in der Diskussion. Das Spannungsfeld zwischen den vier Punkten „Erhaltung der persönlichen Gesundheit“ bei „gleichzeitiger Garantie der persönlichen Freiheitsrechte“ und „maximaler Aufrechterhaltung der sozialen Interaktion“ bei „gleichzeitiger Aufrechterhaltung der ökonomischen Interessen“, hält er für nicht auflösbar. „Bei aller gebotener Vorsicht sollten wir unser Gegenüber aber nicht ausschließlich als Keimschleuder betrachten“, mahnte Dr. Reinhardt in Hinblick auf die soziokulturellen Auswirkung der Pandemie.