Rückblick

IHC Vortrags- und Diskussionsveranstaltung, René Obermann


Rene Obermann referierte zum Thema „Digitales Europa, Mut zur Lücke“: (v. l. n. r.) Referent René Obermann, IHC Präsidiumsmitglied Verena Pausder, IHC Geschäftsführerin Cornelia Moss und HLB Partner und Gastgeber Bendedikt Kastrup.

„Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren“

Will Europa künftig wirtschaftlich weiter eine Rolle spielen, muss es mehr für die Digitalisierung tun. René Obermann, Banker und ehemaliger Telekom-Chef, warnte als Gastredner des Industrie- und Handelsclubs OWL eindringlich vor einer „Verzwergung“ Europas im digitalen Bereich.

Bielefeld / «Wir fallen zurück» - so nüchtern wie eindringlich beschreibt René Obermann den aktuellen Zustand des „digitalen Europas“. Ganz aktuell, mit einem Beispiel aus der Medizin, illustrierte der Ex-Telekom-Chef, der auf Einladung des Industrie- und Handelsclubs OWL (IHC) in Bielefeld sprach, seine These. Angesichts sich weltweit ausbreitender Pandemien laufe im medizinischen Bereich in Deutschland ein Großteil der Kommunikation immer noch über Briefpost und Fax. „Absurd“, findet der Telekommunikationsexperte. Datenschutz sei wichtig, aber es gebe auch eine „Ethik der Nicht-Nutzung“ von Daten.

In seinem Vortrag skizzierte Obermann die digitalen Chancen der Gesellschaft. Der ehemalige Vorstandvorsitzende der Deutschen Telekom ist heute als Investment-Banker bei Warburg Pincus und im Aufsichtsrat verschiedener europäischer Unternehmen tätig. Ab April wird er den Aufsichtsratsvorsitz bei Airbus einnehmen.

Für das Thema „Digitales Europa“ zeichnete er ein gemischtes Bild. Fakt sei leider, so Obermann, „dass wir in entscheidenden Bereichen wie Analytics und Künstlicher Intelligenz (KI), bei Cloud-Technologien und -Kapazitäten kaum führende europäische Unternehmen haben.“ Die größten Rechenzentren mit riesigen Kapazitäten finde man in den USA, in China und in Indien. Bei der Künstlichen Intelligenz kommen die globalen Leader ebenfalls aus den USA und China. Die Technologie biete enorme Anwendungsmöglichkeiten und entwickelt sich rasend schnell. „Was heute als KI gilt, ist morgen schon Routine-Software“. Während andere Staaten riesige Geldmengen in die Prestigetechnologie pumpen, leiste sich Europa hier eine Investitionslücke von 192 Milliarden Euro, so Obermann. „Wir dürfen den Abstand nicht hinnehmen“, sagt Obermann, und warnt vor einer „Verzwergung Europas“.

Auch in puncto Datensicherheit mache sich Europa zu stark abhängig von anderen. Wegen der enorm steigenden Datenmengen werde ein Großteil unserer Daten längst außerhalb der EU gespeichert. Amazon verwalte in USA mittlerweile 80 bis 90 Prozent der weltweiten Datenmenge. Auch im Bereich „Cyber-Security“ sieht Obermann große Defizite. Zwei Drittel der deutschen Unternehmen waren im vergangenen Jahr Ofer eines Cyber-Angriffs. Ein Unternehmen wie die Telekom müsse sich täglich gegen mehrere Millionen Attacken wehren. Die finanziellen Schäden seien immens. Deutschland verhalte sich hier nach Obermanns Meinung zu passiv.

Warnung vor Spaltung der Gesellschaft
Die Wucht moderner Innovationen hat auch Auswirkungen auf die Menschen. Viele Menschen haben Angst, in der digitalen Welt abgehängt zu werden. Die steigende Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung erzeugt Sorge vor Job- oder Bedeutungsverlust. Mit einem „digitalen Zeigfinger“ warnt der Experte darum vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft. Durch einen neuen Pakt von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik müsse dafür gesorgt werden, dass gerade auch die älteren Mitmenschen nicht durch fehlende digitale Kenntnisse zurückgelassen würden. Möglichst viele Menschen müssten sich digital aus- und fortbilden.

Doch kann Europa den Anschluss an die Big Player USA und China überhaupt noch schaffen? „Wir müssen die Hürden für den Aufholprozess beseitigen“, fordert Obermann. Er plädiert für den weiteren Ausbau des europäischen Binnenmarkts und eine verschlankte Bürokratie für Gründer. Zu-dem fehle es an Wachstumskapital für Unternehmen im mittleren Größenbereich, europäischen Cloudkapazitäten und einer ausreichenden Netzinfrastruktur. „Gerade in Deutschland haben wir einen tollen industriellen Kern“, so der Experte. „Wenn wir uns alle in unseren Bereichen dafür einsetzen, die Digitalisierung voranzubringen, ist es möglich, den Anschluss zu schaffen.“

In Zeiten des grassierenden Coronavirus hatte auch der IHC-Vorstand Vorkehrungen getroffen: die dennoch zahlreich erschienen Besucherinnen und Besucher wurden von Geschäftsführerin Cornelia Moss und ihren Mitarbeiterrinnen ohne Händeschütteln, dafür aber mit freundlichem Lächeln und einem Spritzer Handdesinfektionsmittel begrüßt.

Dem anregenden Vortrag folgten viele interessierte Fragen. IHC Präsidiumsmitglied Verena Pausder bedankte sich beim Referenten für die umfassenden Informationen und bei den Ausrichtern des Abends, HLB Stückmann, für die Gastfreundschaft.

Text: Annette Meyer zu Bargholz / Fotos: Susanne Freitag

Medienresonanz

 

Dienstag, 10. März 2020 19:00 Uhr
HLB Stückmann
René Obermann, Partner Warburg Pincus, London