Präses Dr. h. c. Annette Kurschus zu Gast beim IHC. (v.l. IHC Präsidiumsmitglied Laura von Schubert, Gastgeber des Abends Kay Klöpping, Präses Dr. h. c. Annette Kurschus, IHC Geschäftsführerin Cornelia Moss)
Der Umgang mit den Armen und Schwachen im Alten Testament der Bibel taugt nach Ansicht von Präses Annette Kurschus auch als Vorbild für unsere Gesellschaft. So stellte sie das Bibelzitat „Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein“, aus dem 5. Buch Mose in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Die in Bielefeld ansässige Theologin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland, EKD, war Gast bei einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Industrie- und Handelsclubs OWL, IHC. Die Moderation der Veranstaltung, die in den neuen Räumen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG am Lenkwerk stattfand, übernahm Präsidiumsmitglied Laura von Schubert.
Der Krieg in der Ukraine, die Auswirkungen des Klimawandels, Angst vor Inflation: „So wenig Paradies war in unserem Leben noch nie“, stellte die Theologin, die in ihrem Amt 19 Mio. evangelische Christinnen und Christen vertritt, gleich zu Beginn fest. Dennoch dürfe die augenblickliche Situation uns nicht davon abhalten, den Armen zu helfen. Das Schicksal arm zu sein, sei „nicht gottgegeben“. Armut sei ungerecht und gehöre „abgeschafft“, so die Theologin.
„Wegweiser“ zu einer gerechteren Welt finden sich in der Bibel. Besonders das Alte Testament enthalte eine Fülle von Bestimmungen, die sich mit sozialen Fragen befassen. Man könne darin ein „frühe Sozialgesetzgebung“ sehen, so Annette Kurschus. Zwar nenne auch die Bibel kein Patentrezept, gebe aber die Spur vor. So brauche die Armutsbekämpfung Strukturen und sei eine gesellschaftliche Daueraufgabe. Zudem verpflichte das Eigentum: „Wer hat, muss geben“.
In diesem Zusammenhang räumte die Theologin mit dem Vorurteil auf, die Bibel hätte etwas gegen „die Reichen“. Laut Bibel dürfe jeder die Früchte seiner Arbeit ernten und genießen, so Annette Kurschus. Die Propheten hätten die Reichen nicht wegen des Besitzes von Geld angeklagt, sondern verurteilten diese lediglich, wenn sie das „Recht der Armen mit Füßen träten“.
Der Maßstab für eine gute Gesellschaft sei die Frage, wie es dem Schwächsten gehe, mahnte die Theologin. Angesichts von drei Millionen Kindern, die in Deutschland in Armut lebten oder davon bedroht seien, sei die ganze Gesellschaft zum Handeln aufgefordert. „Wir müssen das Thema Armut im wahrsten Sinne des Wortes ‚auf den Tisch‘ bringen. Wir müssen die Menschen dahinter erkennen und ernst nehmen.“ Durchaus selbstkritisch merkte die Präses an, auch die Kirche verfalle oft dem „Suppenküchenklischee“: Das heißt, sie rede viel über Arme und häufig nicht mit ihnen.
Trotz der zahlreichen negativen Entwicklungen ermutigte Annette Kurschus die Zuhörenden, „sehend“ zu bleiben und mit Zuversicht und Visionen an die Verwandlung der Erde zum Besseren zu glauben und daran mitzuwirken. Die Anwesenden dankten der Rednerin mit einem langen Applaus für ihre eindringlichen Worte.
Text: Annette Meyer zu Bargholz