„Unsere Synagoge soll ein offenes Haus sein“. Diesen Worten von Irith Michelsohn, der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, war der Industrie- und Handelsclub OWL gern gefolgt. Auf Initiative von Präsidiumsmitglied Laura von Schubert nutzten etwa 50 Mitglieder die Gelegenheit, die Jüdische Kultusgemeinde und die Synagoge „Beit Tikwa“ („Haus der Hoffnung“) an der Detmolder Straße in Bielefeld näher kennenzulernen.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bielefeld ist vermutlich so alt wie die Stadt selbst. Erste schriftliche Belege stammen aus dem 14. Jahrhundert, formell gegründet wurde die Gemeinde 1705. Nachdem im Nationalsozialismus die Synagoge zerstört und alle Bielefelder Juden vertrieben oder in Vernichtungslager deportiert worden waren, gründete sich die Gemeinde als „Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld“ bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg neu. Die Gottesdienste fanden zunächst in einem Wohnhaus an der Stapenhorststr. 35 statt.
Die Zuwanderung jüdischer Emigranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion führte dann seit den 1990er-Jahren zu einem erheblichen Anwachsen der Mitgliederzahl. Von gerade einmal 38 Mitglieder nim Jahr 2000 wuchs die Gemeinde auf 300 Mitglieder im Jahr 2022. Durch den Ukraine-Krieg kamen 2022 noch einmal knapp 200 Personen dazu. „Mit der Devise, Politik aus der Gemeinde herauszuhalten wird, fahren wir sehr gut“, erklärte Irith Michelsohn. „So haben wir es auch geschafft, alle Flüchtlinge privat unterzubringen“.
Betreut werden die neuen Gemeindemitglieder von einer eigenen Sozialarbeiterin und Bundesfreiwilligendienst-Leistenden. Durch Sprachkurse für Jung und Alt, Religionsunterricht, Gottesdienste und gemeinsame Veranstaltungen und Freizeiten existiere ein aktives Gemeindeleben. „Das ist für viele Aussiedler und Flüchtlinge eine völlig neue Erfahrung“, so die Gemeindepräsidentin.
Die Bielefelder Jüdische Gemeinde ist liberal ausgerichtet und gehört zur Union Progressiver Juden in Deutschland, deren Vorsitz ebenfalls Irith Michelsohn innehat. In progressiven Gemeinden, von denen es 27 in Deutschland gibt, feiern Frauen und Männer gemeinsam den Gottesdienst, der wie in Bielefeld auch von einer weiblichen Rabbinerin geleitet werden kann.
Vor dem abschließenden informellen Austausch bei koscherem Wein stellte Kantor Paul Yuval Adam die baulichen Veränderungen an der ehemaligen evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche vor. Sie wurde 2008 zur Synagoge umgebaut. „Wir fühlen uns in der Nachbarschaft und Stadtgesellschaft gut aufgehoben“, erklärte Irith Michelsohn abschließend. Dennoch stehe die Synagoge zum Schutz vor antisemitischer Gewalt ständig unter Polizeischutz. Ein Besuch für Nicht-Gemeindemitglieder ist nur nach Anmeldung und Taschenkontrolle möglich. „Mein Wunsch für die Zukunft wäre mehr Normalität“, so die Gemeindevorsitzende. „Ich möchte gern einmal zu spät zum Gottesdienst kommen können, ohne vorher an der Tür klingeln zu müssen“.